All inklusive in der Türkei am Ende?

Steigende Kosten und Verschwendung bringen das beliebte System auf den Prüfstand

Auf der Tagesordnung steht die schrittweise Abschaffung des „All-Inclusive“-Systems, eines der am meisten diskutierten Themen im türkischen Tourismus – schon vor Jahren wurde davor gewarnt, dass All-inklusive-Hotels den ansässigen Geschäften, Bars und Restaurants abgraben würden. Die Folgen davon: immer mehr typische und regionale Lokale schließen, die Basars veröden und um dies abzufangen, setzen die Geschäftsleute die Preise hoch. Doe Folge: noch weniger Touristen verlassen die Hotelanlagen – ein Teufelskreis, den man nun durchbrechen will.

Branchenvertreter warnen allerdings von einer vollständigen Abschaffung des Systems. Das würde  in erster Linie dem Tourismus in der Region schaden, während ein schrittweiser Ausstieg aus dem System den Umsatz steigern würde.

Das „All-Inclusive“-System, das erstmals in Spanien eingeführt wurde, wurde Anfang der 2000er Jahre im türkischen Tourismus eingeführt. Obwohl das All-Inclusive-System von Zeit zu Zeit umstritten ist, verbringen viele Touristen, die nach Alanya kommen, ihren Urlaub innerhalb dieses Systems. Branchenvertreter betonten, dass es schwierig sei, dieses System vollständig abzuschaffen, eine konzeptionelle Änderung jedoch durch einen schrittweisen Übergang möglich sei. Derzeit heisst es in gewöhnlich gut informierten Kreisen, dass das Ministerium für Kultur und Tourismus Schritte unternehmen werde, um schrittweise aus dem All-Inclusive-System auszusteigen.

 

„VERLUSTE FÜR DEN HANDWERKER UND DEN HOTELEIGENTÜMER“
Hüseyin Değirmenci, Präsident der Alanya Hoteliers and Hosteliers Chamber, sagte: „Bereits zu Beginn des All-inklusive-Systems in der Türkei, haben wir die Befürchtung geäussert, dass sich dieses System nachteilig auf die Umsätze der regionalen Geschäfte auswirken wird. In den letzten beiden Jahren hat sich das Problem durch die Preissteigerungen und den Rückgang der Pro-Kopf-Ausgaben der Reisenden verschärft. In Gesprächen mit dem damaligen Tourismusminister und anderen Nichtregierungsorganisationen der Türkei im Ministerium in Ankara haben wir die Notwendigkeit für einem Verkaufsplan und standardisierte Vorgaben betont. daraufhin wurden von uns gemeinsam mit dem Turkish Standards Institute einige Studien durchgeführt, aber keine Ergebnisse erhalten.

Wir haben damals gesagt, dass es einen riesigen Unterschied zwischen den Kosten des All-Inclusive-Systems, das bis heute als Marketingmethode überlebt hat, und den Kosten heute gibt.

Der Tourismus in der Türkei ist an einem Punkt angelangt, wo es ein “weiter so” nicht mehr geben kann. Ein Hinweis darauf ist die Aussage unseres Tourismusministers, dass man dieses System ab 2028 schrittweise reduzieren wird.
Die Kalkulationen, Kosten, Wechselkurse und Verkaufspläne sind heute nicht auf dem gewünschten Niveau und sie sind an dem Punkt angelangt, dass sie einen Verlust erwirtschaften. Das All-Inclusive-System kann weiterhin ein System und ein Produkt sein, das in unserem Land weiterhin implementiert wird. Wir sind jedoch der Meinung, dass All-inklusive nur ab einer bestimmten Kategorie angeboten werden sollte, um bestimmte Standards zu etablieren und sicherzustellen, dass die Servicequalität nicht abnimmt.

Vor etwa 15 Jahren begann man mit der Einführung des All-Inclusive-Systems in allen kleinen Hotels und teilweise sogar Apartments im Zentrum von Alanya, und leider schadete dieses System der Lebensmittel- und Getränkeindustrie und anderen Gewerbetreibenden. Die Reisenden planten ihren Urlaub rund um All-inklusive, oft ohne die Absicht, das Hotel zu verlassen.”

„ALL INKLUSIVE DARF NICHT VOLLSTÄNDIG ENTFERNT WERDEN“
Şükrü Cimrin, Vorstandsmitglied der türkischen Agentur für Tourismusförderung und -entwicklung (TGA) und der Alanya Tourism and Promotion Foundation (ALTAV), sagte: „Soweit ich weiß, gibt es im Tourismusministerium derzeit keine Arbeiten am All-Inklusive-System. All-inclusive wurde vor Jahren im türkischen Tourismus etabliert und hat sich zu einem starken Produkt entwickelt. Dies ist eines der Systeme, die wir erfolgreicher implementiert haben als andere Länder auf der ganzen Welt. Das All-Inklusive-System wird viel diskutiert, da es auch massive Nachteile mit sich bringt. Neben den sinkenden Umsätzen der regional ansässigen Geschäfte ist vor allem das Thema Müll und Lebensmittenverschwendung ein zunehmend ernst zu nehmendes Thema.

Ich persönlich bin gegen die vollständige Abschaffung des All-Inklusive-Systems. Anstatt dies zu tun, müssen wir meiner Meinung nach dieses System verbessern. Denn derzeit kommen rund 85 Prozent der Touristen mit Pauschalreisen in die Region Antalya. Diese Pakete beinhalten Transfer-, Flug- und Hotelleistungen. 95 Prozent dieser Touristen bevorzugen das All-Inklusive-System. Darüber hinaus tätigen viele Touristen individuelle Reservierungen über Online-Kanäle oder Plattformen wie booking.com.

Was also tun?
„Bestimmte Standards sollten in das System eingebracht werden“, sagte Cimrin und fügte hinzu: „Welche Einrichtungen einen All-Inklusive-Service bieten können und in welchen Regionen dieser Service angewendet werden kann, sollte klar festgelegt werden. Wenn man es der freien Marktwirtschaft überlässt, sind Reiseveranstalter die starke Seite und Hotels die schwache Seite. Da Reiseveranstalter den Hotels das All-Inklusive-System aufzwingen, werden ihre Möglichkeiten, aus diesem System auszusteigen, schwächer. Um diesen Wandel herbeizuführen, müssen die Eigenkapital- und Finanzstrukturen der Hotels sehr stark sein. Aber leider ist es nicht das, was es von außen scheint. Hotels sind in der Regel Institutionen, die auf Kredit leben, keine hohen Gewinnspannen erzielen und ihre Zahlungen erst lange nach der Abreise des Gastes tätigen können. Es kann sogar vorkommen, dass dieses Geld von Zeit zu Zeit durch Pleiten verloren geht, wie bei Thomas Cook vor einigen Jahren und FTI aktuell in dieser Saison. Ich wünschte, auf Ministerebene könnte ein Standard festgelegt werden. Wenn beispielsweise Kriterien wie Entfernung zum Stadtzentrum, Sternebewertung und Buffetstandards eingeführt werden können, werden wir schrittweise mit dem Ausstieg aus dem All-Inklusive-System beginnen. Ich glaube nicht, dass es zu einer völligen Abkehr vom All-Inklusive-System kommen wird.

Mustafa Korkutata, Mitglied der Ankara Young Businessmen Association (ANGİAD), sagte, dass das All-Inclusive-System Lebensmittelverschwendung verursache.  Messungen hätten nach seiner Aussage gezeigt, dass die Quote der Speisen, die auf zu vollen Tellern und Schüsseln zurück gehen, teilweise 65% erreicht hätten – das bedeutet konkret, dass mehr als die Hälfte der beim All-inklusive-buffet angebotenen Speisen in den Müll wandern.  Täglich werden zwischen 220 und 400 Gramm Lebensmittel pro Person weggeworfen. „Die Berechnungen zeigen also, dass die durch diese Hotels verursachte Lebensmittelverschwendung jährlich 50 Milliarden Lira erreicht“, sagte er.

„WENN WIR VON ALL INKLUSIVE ABKOMMEN, WIRD DER UMSATZ STEIGEN“

Cimrin führte den Anstieg der Hotelpreise auf Inflation und Kostensteigerungen zurück und sagte: „Unsere Verkaufspreise sind in den letzten zwei Jahren gestiegen, insbesondere aufgrund von Inflation und Kostensteigerungen. Entgegen der Norm liegen unsere Preise näher denn je an den Preisen griechischer und spanischer Hotels. Und dieser Preisanstieg war nicht darauf zurückzuführen, dass wir bewusster geworden sind und den Wettbewerb untereinander reduziert haben oder plötzlich unsere Qualität erhöht haben, sondern ausschließlich auf Kostensteigerungen.

Diese Preiserhöhungen wirken sich negativ auf unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit aus. Wenn wir also beginnen, uns vom All-Inclusive-System zu lösen, können wir die Preise, die wir den Reiseveranstaltern anbieten, senken. Daher werden auch unsere Umsätze steigen“, sagte er.

„Wir führen einen schrittweisen Übergang in unserer eigenen Anlage durch“

Cimrin erklärte, dass sie in ihren eigenen Einrichtungen Versuche für einen schrittweisen Ausstieg aus dem All-Inclusive-System durchführen und sagte: „Wir haben im nächsten Jahr eine Vereinbarung namens 7-5-5 zusätzlich zu unserem All-Inclusive-Paket für den skandinavischen Markt getroffen. Das bedeutet für eine Woche 7 Frühstücke, 5 Mittagessen und 5 Abendessen. Zum Mittag- und Abendessen gibt es ein Getränk. Ansonsten haben wir alle Details aus dem All-Inclusive-System entfernt. Alles Weitere muss der Gast bezahlen. Wir probieren dieses Paket nach und nach aus.

Sollte eine Nachfrage nach diesem Paket bestehen, erwägen wir eine Erhöhung des Kontingents. Allerdings stellen wir noch nicht direkt auf Übernachtung mit Frühstück oder Halbpension um. „Wir möchten vom All-Inclusive-Angebot wegkommen und auf günstigere Pakete umsteigen und die Ausgabemöglichkeiten der Gäste sowohl innerhalb als auch außerhalb der Anlage erhöhen“, sagte er.

Vorteile des schrittweisen Ausstiegs: 

Preisrückgang: Die Abkehr vom All-Inclusive-System könnte die Hotelpreise senken und Touristen einen Urlaub zu günstigeren Preisen ermöglichen.
Anstieg der touristischen Ausgaben: Reisende könnenden Umsatz in den ansässigen Geschäften erhöhen, weil sie mehr Zeit im Stadtzentrum statt im Hotel verbringen, das verringert die Stückkosten.
Verschiedene Paketoptionen: Gäste können entsprechend ihren Bedürfnissen verschiedene Pakete auswählen und so ein flexibleres Urlaubserlebnis genießen.

Was bedeutet diese Änderung?

Festlegung von Standards: Es müssen klare Regelungen zu Fragen getroffen werden, z. B. darüber, welche Einrichtungen einen All-Inclusive-Service anbieten dürfen, in welchen Regionen dieser angewendet werden kann und welche Standards eingeführt werden.
Schrittweiser Übergang: Anstatt plötzlich aus dem All-Inclusive-System auszusteigen, kann ein schrittweiser Übergangsprozess angewendet werden. Beispielsweise können zu bestimmten Zeiträumen oder für bestimmte Kundengruppen unterschiedliche Pakete angeboten werden.
Flexible Pakete: Ein breiteres Publikum kann angesprochen werden, indem je nach den Bedürfnissen der Gäste verschiedene Paketoptionen wie 7-5-5 angeboten werden.

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