Jedes Jahr am 10. November legen alle Bürger morgens um Punkt 9.05 Uhr – exakt zum Todeszeitpunkt in Jahr 1938 – eine Schweigeminute ein: in den Schulen, bei der Arbeit, im Radio und Fernsehen, sogar im Straßenverkehr kommt es oft zum totalen Stillstand. Für eine Minute heulen auch alle Sirenen.
Atatürk (1881-1938) ist der Begründer der modernen Türkei und erster Präsident der nach dem Ersten Weltkrieg aus dem Osmanischen Reich hervorgegangenen von ihm gegründeten Türkischen Republik. Er legte das Fundament für die moderne Türkei. Die strategischen Reformen, die er durchgeführt hat, verfolgten das Ziel, die Türkei nach westlichem Vorbild voranzutreiben und den nationalen Aufschwung nach dem Zerfall des Osmanischen Reichs zu erlangen.
Während alljährlich an seinem Todestag insbesondere in Ankara Zeremonien abgehalten werden, versammelt man sich morgens in Istanbul gerne im Dolmabahçe Palast. Der Palast war einstiger Regierungssitz bis zum Umzug der Hauptstadt nach Ankara und später Istanbuler Residenz von Atatürk, in der er auch starb. Die Uhr in seinem Sterbezimmer zeigt noch heute die Uhrzeit 9.05 Uhr an.
Sehr viele Türken machen sich auch auf nach Ankara, um an Atatürks Mausoleum, dem Anıtkabır, ihrem Staatsgründer zu gedenken und ihm Ehre zu erweisen.
Über Mustafa Kemal Atatürk
1881 wird Atatürk im heutigen Thessaloniki geboren. Mit 14 Jahren besuchte er eine Militärschule, später die Kriegsakademie in Istanbul, die er als Hauptmann verließ. Die militärische Erziehung und die anschließende Anstellung im Kriegsministerium waren der Grundstein für seine spätere Popularität, die ihn bis an die Spitze des neuen Staates bringen sollte. Während des ersten Weltkrieges machte Atatürk Karriere in der osmanischen Armee. Er wurde zum General befördert und erhielt den Titel Pascha. Im ganzen Land bekannt wurde er aber als der Sieger der Schlacht von Gallipoli 1915/1916, einer der größten und verlustreichsten Kämpfe des Ersten Weltkrieges. Mit dem Ende des Krieges und der Niederlage des Osmanischen Reiches sollte die Armee aufgelöst und das Reich faktisch zwischen den Siegermächten aufgeteilt werden. Hinzu kam, dass die griechische Armee im Mai 1919 in Izmir einmarschierte. Atatürk organisierte den nationalen Widerstand und führte die Armee siegreich gegen die Griechen.
Am 23. April 1920 konstituierte sich neben der Istanbuler Regierung des Sultans die Große Nationalversammlung in Ankara, zu deren Vorsitzenden Mustafa Kemal gewählt wurde und die fortan die politische Souveränität für sich beanspruchte. Zwei Jahre später wurde das Sultanat abgeschafft und 1923 erkannte der Vertrag von Lausanne die Türkei als souveränen Staat an. Am 29. Oktober des gleichen Jahres rief Atatürk die Republik Türkei aus. Er wurde ihr erster Präsident.
Seine Vorstellung von einem Nationalstaat brachte Mustafa Kemal mit dem Ausspruch: Ne mutlu Türküm diyene! (“Wie glücklich derjenige, der sagt: Ich bin Türke!”) zum Ausdruck. Gemeint war damit das Bekenntnis zur türkischen Kultur und Sprache sowie zu den Grundlagen der Republik. Die Nation war für den Staatsgründer eine untrennbare Einheit. Bis heute stehen die wichtigsten Symbole der Republik, wie etwa die Flagge, unter dem Schutz des Strafrechts.
Der rasante Umbau zum laizistischen Staat nach europäischem Vorbild hatte jedoch seine Schattenseiten. Die Bevölkerung musste sich in Rekordzeit von politischen und religiösen Traditionen verabschieden. Atatürk setzte seine Reformen gegen oppositionelle Kräfte und den Widerstand der Bevölkerung durch. Oppositionelle Parteien und Gewerkschaften wurden verboten, politische Gegner unnachgiebig bekämpft. Die Reformen wurden vor allem vom Militär und Angehörigen der säkularen Bildungsschicht getragen. Anfang der 1930er Jahre hatte Mustafa Kemal seine Macht gefestigt: Widerstand gegen die Reformen war unterdrückt worden und die Einparteienherrschaft der CHP, der Republikanischen Volkspartei (Cumhuriyet Halk Partisi) unter seiner Führung etabliert. Auch symbolisch wurde der Personenkult festgeschrieben: 1934 wurden in der Türkei Nachnamen eingeführt. Die Große Nationalversammlung verlieh Mustafa Kemal den Namen “Atatürk” (“Vater der Türken”), den außer ihm bis heute niemand tragen darf.
Am 10. November 1938 starb Mustafa Kemal Atatürk im Istanbuler Dolmabahcepalast an den Folgen einer Leberzirrhose.
Mit Material der Bundeszentrale für Politische Bildung.