Da meine Frau und ich sehr am interkulturellen und -religiösen Austausch interessiert sind, haben wir schon öfter in anderen Ländern verschiedene Gemeinden besucht. Zur Zeit sind wir in Alanya. Da die deutschen Medien regelmäßig darüber berichten dass „Christen werden in der Türkei an der Ausübung ihrer Religion behindert“ würden und es gerade weihnachtet, haben wir uns entschlossen die evangelische Gemeinde St. Nikolaus in Alanya zu besuchen.
Es hat nicht gleich auf Anhieb klappen wollen. Zunächst standen wir vor der norwegischen Gemeinde und Kirche, fanden dann aber doch die gegenüberliegende St. Nikolaus Gemeinde. Irgendwie hatten wir uns dann auch noch mit der Uhrzeit vertan und trafen auf die türkisch-christlichen Gläubigen, die gerade Ihren Gottesdienst zu Weihnachten abhielten. Eine Stunde später war es dann soweit, der überwiegend von Deutschen und Holländern besuchte Gottesdienst begann. Gleich zu Anfang stellten wir uns bei der Pastorin vor. Wir seien Muslime und würden gerne am Gottesdienst teilnehmen. Sehr herzlich wurden wir begrüsst und durften – wie auch ehrlich gesagt nicht anders erwartet – teilnehmen.
Die Kirche war mit rund 50 Personen gut gefüllt. Der Gottesdienst begann etwas verspätet, da der Organist leider nicht erschienen war und die Dame mit der Flöte, die die Lieder begleiten sollte, sich leicht verspätete. Sie war noch bei einem anderen Gottesdienst und eilte herbei. Mit 15 Minuten Verspätung begann dann endlich der Gottesdienst. Uns bekannte Lieder wie „Stille Nacht“ wurden gesungen. Die Geschichte von Jesus und Maria fehlte heute natürlich auch nicht.
Die Pastorin bedankte sich bei einer Dame aus der Gemeinde, die eine weitere Krippenfigur, den Esel, eigens aus Bethlem mitgebracht hatte und der Gemeinde spendete. Ein anderes Gemeindemitglied hatte heute eine besondere Bitte, die wohl der heutigen, schwierigen politischen Sitution weltweit geschuldet war: Alle mögen sich doch bitte die Hand reichen und „Friede sei mit Dir“ aussprechen. Diesem Wunsch kamen alle Gemeindemitglieder gerne nach.
Rund 50 Gläubige schoben sich durch die Stuhlreihen, alle wanderten durch die Kirche. Wir haben daran ebenfalls sehr gerne teilgenommen. Was für eine tolle Geste! Ein wenig Gänsehaut ging hierdurch durch das Gotteshaus. Das „Vater unser“ wurde gesprochen und die Kollekte zu Gunsten der Kirche wurde eingesammelt. Auch hier haben wir uns natürlich beteiligt.
Zum Schluss des Gottesdienst wurde noch auf den am 1. Weihnachtsfeiertag mit der norwegischen Gemeinde gemeinsam stattfindenden mehrsprachigen Gottesdienst hingewiesen. Dieser findet in der norwegischen Gemeinde um 11 Uhr statt. Weiterhin wurde auf den gemeinsamen, seit Jahren stattfindenden Ausflug mit der Gemeinde in Antalya aufmerksam gemacht.
Traditionell geht es am 2. Weihnachtsfeiertag wieder in den „Garten der Toleranz“ nach Belek. Abfahrt ist um 10:30 Uhr vom Kulturhaus, es sind noch Plätze im Bus frei. Nun war es Zeit zu gehen, aber man ließ uns einfach nicht gehen. Man bestand darauf noch Lebkuchen mit uns zu essen, Kaffee zu trinken und zu schnattern. Wir kamen gleich mit mehreren Rentnern, zufällig aus dem Kohlenpott in Kontakt, der uns bisher nur als „Ruhrpott“ bekannt war. Tanay wurde ganz lieb bespaßt und langweilte sich auch nicht, schließlich war er während des Gottesdienstes eingeschlafen und entsprechend gut gelaunt.
Fazit: Wir sind wieder einmal froh uns selbst ein Bild gemacht zu haben. Denn wir können der überwiegenden Presse in Deutschland tatsächlich bescheinigen „Lügenmärchen“ zu verbreiten, aus welchem Grunde auch immer. Derart herzlich empfangen und verabschiedet hätten wir es bereut, heute nicht an diesem Gottestdienst, der in Alanya seit 2004 stattfindet, teilgenommen zu haben.
Mehmet Tuntaş, geboren 1982 in Essen an der Ruhr. Als Sohn einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters lebt er in zwei Kulturen und Nationen. Seit August 2017 ist er nun auch regelmässig an seinem Zweitwohnsitz in Alanya.